In meinem Blog "Annettes-Schreibzeug" erzähle ich Geschichten von Menschen, von Ereignissen, sammle besondere Momente und nehme Bezug auf aktuelle Themen der Zeit..
Ich freue mich, euch Lori vorstellen zu dürfen. Sie ist als Gast ins Schreibzeug eingezogen und wird uns im „Lori Journal“ an ihren Gedanken teilhaben
lassen.
Neuigkeiten im Schreibzeug | ![]() |
02.02.2025, 13:12
Schreiben für Demokratie. Schreiben gegen die Ohnmacht, sich einmischen, sich zeigen. Es ist Zeit mehr
14.01.2025, 18:53
Brasiliens große Dichterin, die erst mit 60 Jahren den Schritt in die Öffentlichkeit ging. Sie finanzierte sich mit dem Backen kleiner, köstlicher Küchlein. mehr
15.01.2025
Diese Zeilen sprangen mich an, riefen mich beim Namen, sagten mir „Da bist du ja. Endlich haben wir dich gefunden“. Sie waren Erkennen und erkannt werden zugleich. Die Worte schienen an mich adressiert zu sein, beschrieben mein Leben in nur vier Zeilen.
Wer ist Cora Coralina?
Ich traf sie zwischen zwei Buchdeckeln auf der Seite 52. Cora Coralina. Dichterin und Bäckerin.
*Good night Stories For Rebel Girls
Sie wurde 1889 in einem kleinen Haus auf einer Brücke geboren. Früh erkannte sie, dass sie eine Dichterin war. Doch das Leben führte sie zunächst auf andere Bahnen. Ihre Eltern sahen keinen Sinn darin, ihrer Tochter Zugang zu Bildung zu gewähren. Die Welt der Bücher blieb ihr verschossen.
Ein guter Mann und eine Familie sollten sie von ihrem Ansinnen heilen, eine Dichterin zu sein.
Cora verliebte sich, heiratete und bekam vier Kinder, vergaß jedoch nie, dass sie eine Dichterin war und schrieb jeden Tag.
Als sie 60 Jahre alt war starb ihr Mann. Cora zog zurück in das kleine Häuschen auf der Brücke. Ihre Zeit als Dichterin war gekommen.
Um ihr Leben finanzieren zu können, backte sie Kuchen, den sie zusammen mit ihren Gedichten verkaufte. Ihr Plan ging auf. Ihre Gedichte und Kurzgeschichten machten Furore, sie wurde eine der bekanntesten und wichtigsten Dichterinnen Brasiliens. Sie starb mit 96 Jahren.
Ein Märchen? Ein Märchen so ganz ohne Königssohn, der für das Erwachen der Prinzessin zuständig ist? Cora Coralina brauchte keinen Königssohn, der für ihr Erwachen sogen musste. Eher im Gegenteil. Sie war sich ihr ganzes Leben sicher, eine Dichterin zu sein. Doch den Schritt ins Licht tat sie erst, als ihr Mann gestorben war. Vielleicht war es ja gerade „der Tod des Märchenprinzen“ der sie von ihrem Auftrag als Ehefrau und Mutter befreite, bevor sie mit 60 Jahren dem folgen konnte, was sie immer als ihre Bestimmung gefühlt hatte.
Wenn es so war, war es ihr großes Glück, dass sie noch 36 Jahre lebte, in denen sie backen und schreiben konnte.
Als ich ihr Bild sah, sah ich eine alte Frau mit faltigem Gesicht, umringt von kleinen, bunten Küchlein und mit einem Schreibbloch in der Hand. Ihre Augen waren ein wenig müde, ihr Blick fast streng und ihre Lippen zu einem schmalen Streifen zusammengelegt.
Was fasziniert mich so an ihr?
Es ist ihre Gewissheit, eine Dichterin zu sein und warten zu können, bis der richtige Zeitpunkt in ihrem Leben aufgetaucht ist.
Es ist ihre Leidenschaft zum Schreiben, die sie in all den Jahren nicht begraben hat.
Es ist es ihre Klugheit oder vielleicht auch ihre unzureichende Kraft, nicht gegen die gesellschaftliche Vorbestimmung eines Frauenlebens aufbegehrt zu haben.
Nicht zuletzt ist es ihr Mut, im Alter von sechzig Jahren das Leben nun als Dichterin fortzusetzen.
Was mache ich nun mit ihrer Botschaft?
Ich habe kein Häuschen auf einer Brücke und backen kann ich auch nicht so gut, dass köstliche Küchlein zur Verbreitung meiner Geschichten einen sinnvollen Beitrag leisten könnten.
Doch was mich Cora Coralina lehrt ist, dass ein unruhiges Herz nichts mit altersbedingten Rhythmusstörungen zu tun hat, sondern mit dem wachsenden Mut, Ungelebtes lebendig werden zu lassen. Neues zu beginnen, unabhängig von der Jahreszahl der Geburtsurkunde. Ob mir dafür auch so viele Jahre geschenkt werden wie Cora Coralina, wird an anderer Stelle entschieden werden.
*“Good Night Stories For Rebel Girls“, 100 außergewöhnliche Frauen, Elena Favilli, Francesca Cavallo, Carl Hanser Verlag
Good Night Stories For Rebel Girls
Admin - 05:25 @ besondere Menschen | Kommentar hinzufügen
22.12.2024
Seine Finger haben heute wieder Mühe den obersten Knopf seines Hemdes zu schließen. Seine Augen sind nicht mehr die besten und in den Händen plagen ihn die Zeichen des Alters. Früher hatte es seine Frau manchmal übernommen, diesen letzten, obersten Knopf zu schließen. Mit beiden Händen zog sie ihn dann am Kragen zu sich, ergatterte einen Abschiedskuss bevor er das Jackett überstreifte und das Haus verließ. Viele Jahre hatte er an der Volkshochschule gearbeitet, konnte dort seiner Liebe zur Literatur nachkommen. Einer Liebe, die in seinem Elternhaus nicht geteilt wurde. Für ihn war damals nach der 8. Klasse Schluss gewesen mit der Schule.
Sein Körper ist immer noch drahtig, kein Gramm Fett zu viel. Ein Blick in den Spiegel verrät ihm, dass alles an seinem Platz ist. Frisch rasiert und gekämmt verlässt er sein Zimmer, nimmt die Treppen hinunter und stößt die Tür zum Gemeinschaftsraum der Einrichtung auf, in der er nun lebt.
Dort sitzen schon einige in vertrauter Runde zusammen und eine Stimme durchzieht den Raum, von kurzem Lachen und leisem Kichern eingerahmt. Richtig, heute ist Erzähl-Café und es dauert nicht lange, bis auch er gebeten wird, von sich zu erzählen.
Fast wie von selbst formen sich seine Lippen und ohne zu überlegen beginnt er über seine Schulzeit zu berichten.
„Ich bin, wie damals üblich nur 8 Jahre zur Schule gegangen und habe nicht viele Lehrer erlebet. Uns schon gar keine guten Lehrer“, beginnt er seine Reise in die Vergangenheit. Bilder einer wilden 6. Klasse bahnen sich den Weg in die Erinnerung. Sie hatten keine Lust zu lernen. Ihren Schulalltag verbrachten sie damit, sich mit Papierkügelchen zu beschießen und mit Wasserpistolen die Langeweile im Unterricht zu vertreiben. „Dann kam Erich. Ich darf ihn mittlerweile duzen. Er brachte den Wandel“, sagt er mit einer Stimme aus Freude und Ehrfurcht.
Weitere Bilder tauchen auf. Fast lebendig sieht er Erich vor sich, erinnert sich wie er auf Augenhöhe mit den Schülern redete, wie er aus diesem wilden Haufen eine leistungsfähige Gemeinschaft machte.
Immer mehr Szenen der Vergangenheit tauchen auf. Ein Sportlatz, Langstreckenlauf, flirrende Sommerluft, staubige Aschenbahn. Die besten Läufer jeder Jahrgangsstufe traten gegeneinander an. Er gehörte dazu. Er war ein guter Läufer. Nicht ohne Anspannung nahm er an der Startlinie Aufstellung, als Erich hinzutrat und gemeinsam mit seinen Schülern ins Rennen ging. Schon wenige Sekunden nach dem Start lief er dicht hinter seinem Lehrer, blickte auf seinen trainierten Rücken, auf dem die Startnummer flatterte. Ein kurzes Zögern durchfuhr ihn, ob er seinen Lehrer überholen dürfe. Der Sportgeist siegte, er zog vorbei. Als sie für einen kurzen Moment nebeneinander liefen, schaute Erich zu ihm rüber und lächelte ihn einfach nur an.
Die Erinnerung wird immer deutlicher, lebendiger, er fühlt sich Erich plötzlich so nah. Sein Lehrer Erich. Politisch, progressiv, jung, sportlich, trat er in sein Leben und bewirkte einen Wandel bei ihm und seinen „Klassenkammeraden“.
Es waren keine amourösen Gefühle, die er für seinen Lehrer empfand, es war Verehrung. Erich imponierte ihm durch seine Art, wie er die Welt sah und wie er handelte. Erich öffnete ihm Türen in bisher unbekannte Welten, wie zum Beispiel der Literatur. Zum ersten Mal fühlte er sich gesehen. Gesehen mit all dem, was darauf gewartet hatte, geweckt zu werden.
Die Bilder im Kopf beginnen zu schwimmen, lösen sich auf. Irgendwann hatte Erich die Schule verlassen. Die Schule, die Klasse und auch ihn. Er hatte in die Erwachsenenbildung gewechselt, wo er auch zuvor gearbeitet hatte. Später erfuhr die Klasse, dass ihr Lehrer in der Justizvollzuganstalt gearbeitet hatte, bevor er ihr Klassenlehrer wurde.
Ihre Wege verloren sich für viele Jahre, bis der Zufall sie wieder zusammenführte. Seine Arbeitsstelle sorgte für ein Wiedersehen. Damals hatte er eine Kursleitung für den Unterricht in der Justizvollzugsanstalt besorgen müssen. Erich war wieder Lehrer im Gefängnis geworden und so trafen sie sich nach vielen Jahren wieder. Bei ihrem Wiedersehen hatte Erich ihn nach seinem Alter gefragt. 37 Jahre hatte er geantwortet und dann hatte Erich gesagt: „Jetzt kannst du aber auch Erich zu mir sagen.“ Diesen Tag hatte er nie mehr vergessen.
Es begann eine Zeit der glücklichen Verbindung. Er besuchte Erich regelmäßig, bis zu seinem Tod. Erich wurde fast 90 Jahre alt, hatte eine Frau und eine Tochter und mit jedem Jahr schien seine Gestalt kleiner und kleiner zu werden, als würde er schrumpfen.
Langsam verlassen ihn die Bilder der Erinnerung, er kommt zurück in den Raum mit den Menschen, die ihm zuhören. Sein Herz ist angefüllt mit Dankbarkeit an diesen, seinen Lehrer, an Erich, „seinen Kamerad“.
Er spürt die Unmöglichkeit, das, was Erich für sein Leben bedeutet hat hier in Worte zu fassen und es den Zuhörenden preiszugeben. Zu stak, zu groß ist das Gefühl. Es war so viel, was er ihm gegeben hat, weil er so anders war. Anders als alles, was er bisher aus seinem traditionellen und nicht sehr gebildeten Umfeld kannte. Eine tiefe Dankbarkeit durchzieht ihn bei diesem Gedanken.
Er hört die Worte einer Zuhörerin, die sagt: „So einen Lehrer kann sich jeder nur wünschen“. Mit einem kleinen Nicken in ihre Richtung stimmt er zu. Mit noch zittrigen Händen greift er das Glas Wasser auf dem Tisch. Sein Mund ist so trocken, als habe er gerade den Langstreckenlauf hinter sich. Das Wasser im Mund tut gut, spült die Erinnerungen weg und lässt ihn ganz in die Gegenwart zurückkommen.
Später wird er noch lange im Sessel seines Zimmers sitzen und an Erich denken. An Erich seinen „Lehrer und Kameraden“, der seine Persönlichkeitsentwicklung so maßgeblich bereichert hat, dass es sich gar nicht genau bemessen lässt.
Admin - 06:06 @ besondere Menschen | Kommentar hinzufügen
09.09.2024
Johanna ist ein Tsunami, doch keine opferfordernde Sturmflut. Sie nimmt nichts und gibt alles. Ungerechtigkeit ist ihr unerträglich. Rechtlosigkeit und die Unterdrückung von Frauen lassen sie aufstehen, ihre Stimme laut werden und ihren klugen Kopf auf Hochtouren arbeiten. Ihre Freundin Anne bewundert sie für ihren Mut und ihre Kraft, nicht hinzunehmen, was nicht hinzunehmen ist. Wenn Johanna immer wieder wie Sisyphos den Stein den Berg hinaufrolllt. Sie hat keine Alternative.
Anne lässt sich von Johanna mitziehen. Dann fällt auch etwas Mut auf sie ab. Dann gehen sie zusammen. Annes Kraft reicht nicht aus, mit Johanna auf der Überholspur zu bleiben. Keiner schafft das. Johanna geht dann allein weiter, so spürt sie ihren Schmerz nicht.
Johanna braucht Anne. Sie hält sie auf dem Boden, wenn die Explosionen in ihr toben. Wenn die Wut in ihr zu groß wird.
Anne wuchs liebevoll und geschützt auf, durfte wachsen. Manchmal ist sie ein wenig bequem, zu unentschlossen, bleibt im Vagen.
Doch auch sie kennt die Wut. Die Wut über männliche Dominanz. Doch Anne ist kompatibel, kann sich anpassen. Sie öffnet mir immer wieder Türen, die Johanna laut knallend zu geworfen hat.
Anne weiß um Johannas Schmerz, auch wenn sie ihn nicht selber kennt und ihn nicht mit mir teilen kann.
Freundinnen
Zusammen losgehen
Lernen die Unterschiedlichkeit zuzulassen
Die alten Schubladen schließen
Ankommen
Admin - 05:08 @ besondere Menschen | Kommentar hinzufügen
Über mich
Sozialpädagogin
Systemische Beraterin und Systemische Kinder-und Jugendtherapeutin
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