Ich erzähle von Erlebtem und Geschautem, von außergewöhnlichen- und ganz alltäglichen Ereignissen. Ich erzähle von Begegnungen mit Menschen und sammle besondere Momente.
News im Schreibzeug |
15.09.2024, 18:58
https://bzw-weiterdenken.de/2024/09/vom-gehen-und-der-kraft-des-labyrinths/ mehr
08.09.2024, 19:17
Was zwei Freundinnen für einander bedeuten mehr
22.06.2024
Rudi Dutschke war mein Held. Das mag verwunderlich klingen, denn ich war erst 9 Jahre alt, als ihn zwei Schüsse in den Kopf trafen und er Jahre später an den Folgen dieses Attentates starb.
Nicht, das ich ein Wort verstanden hätte, von dem was er sagte, wenn er aus unserem Schwarz-Weiß-Fernseher ins Wohnzimmer flimmerte. Seine Worte waren fremd für mich. Doch wenn ich die Bilder sah, wie er mit vielen anderen untergehakt auf den Straße protestierte, hatte ich das Gefühl, dass es irgendwie richtig und wichtig sei, was er tat. Als ich sah, wie entsetzt meine Eltern auf das Attentat an ihm reagierten, war ich mir sicher, dass Rudi Dutschke für etwas kämpfte, das auf der richtigen Seite des Lebens stand.
In meinem wohlbehüteten Leben gab es wenig zu erkämpfen. Nur die Sache mit meinem Bruder trieb mir regelmäßig die Zornesfalte auf die Stirn. Bei jedem Familienausflug durfte er vorne im Auto sitzen und nahm wie selbstverständlich und mit breiten Grinsen neben meinem Vater Platz. Begründet würde dieser Umstand mit seinen langen Beinen und seiner Expertise beim „Straßenkarten lesen“. So saß ich ohnmächtig und wütend hinten bei meiner Mutter auf der Rückbank.
Auch wenn der Anlass bei Licht betrachtet von eher geringer Bedeutung war, muss es die Geburtsstunde der Feministin in mir gewesen sein. Nie wieder wollte ich benachteiligt sein, weil ich ein Mädchen bin.
In den nachfolgenden Jahren wurde Lila meine Lieblingsfarbe, in meinem Bücherregal stand sogenannte Frauenliteratur, ich bot der Unterdrückung von Frauen die Stirn und schwamm in der 3. Welle der Frauenbewegung. Die Frauenrechte änderten sich langsam und ich war mit den Worten Ghandis gesprochen, ein kleiner Teil der Veränderung geworden, die ich mir für diese Welt gewünscht hatte.
Meine kleine Anekdote ist ein Wimpernschlag im Vergleich zu der Unterdrückung, Unfreiheit und Ausgrenzung vieler Menschen auf der Welt. Mir wurde für mein Veränderungsbegehren kein Preis abverlangt, den ich hätte zahlen müssen. Mein Leben blieb sicher, ich musste um nichts fürchten. Doch was lässt Menschen aufstehen, die Welt verändern zu wollen, sogar wenn sie Sorge um Leib und Leben haben müssen? Was lässt den Glauben entstehen, die Welt sei veränderbar durch das eigene Tun? Durch das Tun eines einzelnen Menschen. Woher kommt der Mut dazu? Ist es Zorn, Ungerechtigkeit, Unfreiheit, Ausweglosigkeit, Armut, Angst, Willkür…..?
Ich habe keine Antworten auf diese Fragen, nur Bewunderung für diese Menschen. Dass es sie gab, dass es sie gibt und dass es sie geben wird ist notwendig. Mahatma Ghandi war einer von ihnen.
Ghandi richtet seinen Apell „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt“ nicht an die Menschen, die aufstehen, sich einmischen und ihren Veränderungswunsch in die Welt bringen. Sein Appell richtet sich an den anderen Teil der Menschheit. An die Menschen, die in ihrer Komfortzone bleiben, im Klagen, Schimpfen und im Klein-Klein der eigenen Bedürfnisse verharren.
Ghandis Satz kommt so lieblich und scheinbar harmlos daher. Doch beinhaltet er die ganze Wucht des vorgehaltenen Spiegels, für die Gestaltung unserer Welt eine Mitverantwortung zu tragen.
Selbst an der Veränderung der Welt beteiligt zu sein ist auch eine Chance und kann ein Weg der kleinen Schritte sein.
Ich kann Verantwortung für mein tägliches Handeln übernehmen.
Ich kann meinen Konsum einschränken. Ich kann darüber nachdenken, wieviel Vielfalt ich in der Auswahl von Fruchtjoghurt angemessen finde, wieviel Vielfalt ich mir in deutschen Vorgärten wünsche und wieviel Vielfalt ich bei Meinungsäußerungen anderer respektieren möchte. Ich kann Fremden freundlich begegnen und mein Herz für Neues öffne
Doch all das braucht den Glauben, dass es sich lohnt, immer wieder den Stein des Sisyphos den Berg hinauf zu rollen, verbunden mit der Hoffnung, etwas wirklich verändern zu können.
In diesem Zusammenhang hat mich der letzte Satz des Buches „Annette, ein Heldinnen-Epos“ von Anne Weber sehr berührt. Das Buch erzählt die Geschichte von Anne Beaumanoir, einer vergessenen Heldin des letzten Jahrhunderts, einer Freiheitskämpferin in der Résistance gegen die deutsche Besatzung und im Algerienkrieg gegen die Franzosen, eine Gerechte unter den Völkern in Jad Vashem, Ärztin und Mutter von drei Kindern. Sie opferte dem Kampf gegen die Unterdrückung fast alles und hatte am Ende ihres Lebens viel verloren.
Anne Weber schließt ihr Buch über das Leben von Anne Beaumanoir mit Worten von Camus:
«Der Kampf, das andauernde Plagen und Bemühen hin zu großen Höhen, reicht aus, ein Menschenherz zu füllen. Weshalb wir uns Sisyphos am besten glücklich vorstellen.»
(Albert Camus, Der Mythos des Sisyphos)
(Anne Weber, Annette ein Heldinnen Epos, Matthes -Seitz Verlag Berlin, 2020)
Das Buch “Annette, ein Heldinnen Epos”
Admin - 00:17 @ | Kommentar hinzufügen
Über mich
Sozialpädagogin
Systemische Beraterin und Systemische Kinder-und Jugendtherapeutin
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