In meinem Blog "Annettes-Schreibzeug" erzähle ich Geschichten von Menschen, von Ereignissen und sammle besondere Momente.
Ich freue mich, euch Lori vorstellen zu dürfen. Sie ist als Gast ins Schreibzeug eingezogen und wird uns im „Lori Journal“ an ihren Gedanken teilhaben
lassen.
Neuigkeiten im Schreibzeug |
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22.10.2024
liebste Freundin. Seit vielen Jahren schieben wir uns gegenseitig durchs Leben, sind einander Ohr und Schulter. Heute brauche ich beides von dir.
Am Dienstag rief mich die Ärztin an und sagte mir, dass sich meine Mutter auf den Weg mache. Ich war erst am Abend zuvor nach Hause gefahren, um etwas verschnaufen zu können. Verschnaufen von der Wehmut, von der Suche nach Halt, von der Gewissheit des nahen Abschieds.
Nach 300 Kilometern Autobahn saß ich also wieder am Bett meiner Mutter. Sie hatte mit dem Sterben auf mich gewartet. „Ich bin jetzt da“ flüsterte ich. Sie wurde ruhiger. Dann legte sich Stille auf uns. Aus meiner Mutter wich das Leben.
Sie trug ihr schönstes Kleid, als sie mit zwei Männern des Beerdigungsinstitutes die Wohnung verließ. Die Stille blieb.
Auch der Geruch meiner Mutter blieb. Ich konnte ihn noch riechen, als ich später das Schlafzimmer betrat, das in den letzten Wochen der Mittelpunkt meines Lebens gewesen war. Der Karton mit den Einmalhandschuhen, die Tupfer und das Granatapfel-Öl, das den Geruch des Sterbens so angenehm gemildert hatte, standen noch wie vergessene Zeugen noch an ihrem Platz.
Warum auch immer öffnete ich die Nachttischschublade. Obenauf lag ein Brief. Er schien schon tausendmal geöffnet worden zu sein. „Frohe Weihnachten 2011“ stand auf dem Umschlag, ich erkannte meine Handschrift und las:
Ihr lieben Zwei,
heute ist der 19.12. Ich sitze an unserem großen Küchentisch und schreibe euch diese Zeilen. Bald werde ich wieder meinen kleinen, schwarzen Koffer ins Auto stecken und mich auf den Weg zu euch machen. Wie immer werde ich nach dem Klingeln direkt das Bad ansteuern und auf die Toilette flitzen, bevor ich euch begrüßen- und die Hektik der Autobahn abschütteln kann. In meinem Gepäck habe ich Geschichten von mir und den Kindern.
Bei jedem Besuch reise ich mit euch in die Vergangenheit und gleichzeitig rennt die Zeit dem Abschied entgegen. Dann packe ich westfälische Mettwürstchen, köstliche Eier und die guten Kartoffeln vom „Bauer Beehrend“ ein, die ihr für mich gekauft habt.
Dann ein Hupen und Winken aus dem Auto. Im Rückspiegel sehe ich euch noch lange stehen, einander an den Händen haltend.
Doch unser Wiedersehen dauert nur so lange, bis ich wieder klingle und geradeaus auf die Toilette flitzen werde.
Liebe Mama, lieber Papa, ich wünsche euch frohe Weihnachten und ein gutes Neues Jahr.
Liebe Grüße Eure
Lori
Ach Judith, ich bin wohl von keinem anderen Menschen so sehr vermisst worden, wie von meine Mutter. Was für eine Liebe, was für ein Auftrag.
Ich freu mich von dir zu hören und hoffe, dass meine Grüße und meine herzliche Umarmung die 500 Kilometer zwischen uns heil überstehen werden.
Deine Lori
Admin - 23:58 | Kommentar hinzufügen
Über mich
Sozialpädagogin
Systemische Beraterin und Systemische Kinder-und Jugendtherapeutin
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