In meinem Blog "Annettes-Schreibzeug" erzähle ich Geschichten von Menschen, von Ereignissen, sammle besondere Momente und nehme Bezug auf aktuelle Themen der Zeit..
Ich freue mich, euch Lori vorstellen zu dürfen. Sie ist als Gast ins Schreibzeug eingezogen und wird uns im „Lori Journal“ an ihren Gedanken teilhaben
lassen.
Neuigkeiten im Schreibzeug | ![]() |
02.02.2025, 13:12
Schreiben für Demokratie. Schreiben gegen die Ohnmacht, sich einmischen, sich zeigen. Es ist Zeit mehr
14.01.2025, 18:53
Brasiliens große Dichterin, die erst mit 60 Jahren den Schritt in die Öffentlichkeit ging. Sie finanzierte sich mit dem Backen kleiner, köstlicher Küchlein. mehr
24.08.2023
Foto privat, East Side gallery
Sie zog ihre blauen Sandalen an. Die inzwischen lahm gewordenen Riemchen ermöglichten ein schnelles Hineingleiten der Füße. Die Sohlen hatten noch die Höhe eins Pfannkuchens und die Zehen hatten in den Sommern ohne Strümpfe kugelrunde Spuren hinterlassen.
„Andiamo, andiamo“, der Italienisch Kurs nach seiner Pension begann Früchte zu tragen. Mit kreisenden Ruderbewegungen der Arme mahnte er zur Eile. Seine magentafarbenen Turnschuhe waren das Jüngste an ihm, ein Lustkauf, drei Jahre vor der Rente. Der Mann an ihrer Seite, seit 37 Jahren.
Im Auto dann ein Blick in den Spiegel der Sonnenblende am Beifahrersitz. Eine Spur zu alt lautete das Urteil. Die Nacht war um zwei Uhr morgens zu Ende gewesen, Herzrasen und Schweißausbrüche hatten sie geweckt und nicht mehr einschlafen lassen.
Die sechsspurige Prachtstraße der Stadt war mit Straßensperren blockiert. Freundliche Ordner mit gelben Binden am Arm und der Aufschrift „Wiesbaden Marathon“ leiteten den Verkehr um. Parkplatz, Türenschlagen, surren der automatischen Schließanlage des Autos und weiter zu einem Platz mit gutem Blick auf die Laufstrecke und ihren Sohn, wenn er Runde um Runde an ihnen vorbei laufen würde. Im Schlosspark wurden sie fündig und richteten sich ein.
Ihr Sohn. Er war vor einigen Wochen zurückgekommen. Zurück in das Dorf seiner Kindheit, seines Kindergartens, seiner Grundschule. Zurück aus der wummernden Großstadt. Zurück aus neongrellem Leben, pulsierend und schnell. Häutungen und Metamorphosen liegen hinter ihm. Einige hatte sie mitbekommen in langen Telefonaten oder auf seinen Kurzbesuchen am Wochenende. Viele sicher auch nicht.
Seine wilden Locken, die er in einem Zopf bändigte, waren einer Halbschädelrasur gewichen. Hart und markant war nun sein Gesicht. Er hatte sie gelebt, die Schärfe der Grenzen, den Stolz, Teil eines pulsierenden Stroms zu sein, die Freude an der Vielfalt der Menschen und die unbegrenzten Möglichkeiten, das Leben zu kosten. Und nun? Satt von all dem. In ein paar Monaten würde er Vater sein.
Lautes Klatschen und Jubeln holte sie zurück. Ihr Sohn lief an ihnen vorbei. Lächelnd und winkend, um die Stirn ein Schweißband gebunden. 35,2 Kilometer lagen noch vor ihm. „Vai, vai“ drang es an ihr Ohr. Wieder die geernteten Früchte des Italienisch Kurses.
Die Profiläufer liefen ihrer Siegerehrung entgegen. Jede neue Runde vergrößerte den Abstand zwischen den Teilnehmer-innen. Machte sein Lächeln dünner. Das Winken hatte er verloren.
Versprengte Zuschauer bejubelten und beklatschen jeden und jede, die vorbei lief. Die letzten 10 Kilometer schoben sich noch zwischen dem Hier und dem Ziel.
Er kam nicht mehr vorbei. Vermutungen und Erklärungsversuche stiegen in ihr auf. Dunkelheit fiel auf den Asphalt. Er kam nicht. Einzelne, verschwitzte und erschöpfte Männer und Frauen kämpften sich an ihnen vorbei, der letzten Runde entgegen. Nichts zu sehen von ihm. Die riesige Straße, menschenleer. Nur die Laternen warfen ihr hartes Licht hinunter. Ihr Herz begann sich zusammenzuziehen, ein bekanntes Gefühl. Sie suchte und fand die Hand ihres Mannes, der neben ihr angespannt auf den erlösenden Moment zu warten schien, seinen Sohn am Ende Straße auftauchen zu sehen.
Dann schob sich ihnen am Horizont ein kleiner Punkt langsam entgegen. Ganz allein kämpfte er um jeden Meter. Immer noch an den Händen liefen sie ihm entgegen.
Erschöpfung stand in seinem Gesicht. Er hatte den Kampf mit der Straße nicht aufgegeben. Sie nahmen ihn in ihre Mitte und fielen ein in seinen Schritt. 500, 700, 1000 Meter lang. Die blauen Sandalen mit der Pfannkuchen Sohle klapperten auf der Straße, die Magenta Turnschuhe wurden jung und fragten ihn „Willst du es schaffen?“ „Ja“, war das Letzte was sie hörte. Sie hatte versucht weiter mitzulaufen, fiel immer weiter zurück. Ihr Herz klopfte wie in der Nacht zuvor, die Füße fanden keinen Halt und keuchend blieb sie stehen.
Zwei Punkte verloren sich langsam in der Dunkelheit. Er wird es schaffen.
#MarathonundMenopause
Admin - 03:22 @ besondere Momente | Kommentar hinzufügen
Über mich
Sozialpädagogin
Systemische Beraterin und Systemische Kinder-und Jugendtherapeutin
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