In meinem Blog "Annettes-Schreibzeug" erzähle ich Geschichten von Menschen, von Ereignissen, sammle besondere Momente und nehme Bezug auf aktuelle Themen der Zeit..
Ich freue mich, euch Lori vorstellen zu dürfen. Sie ist als Gast ins Schreibzeug eingezogen und wird uns im „Lori Journal“ an ihren Gedanken teilhaben
lassen.
Neuigkeiten im Schreibzeug |
14.01.2025, 18:53
Brasiliens große Dichterin, die erst mit 60 Jahren den Schritt in die Öffentlichkeit ging. Sie finanzierte sich mit dem Backen kleiner, köstlicher Küchlein. mehr
05.01.2025, 16:30
Über die Nachhaltigkeit von Freundlichkeit und die Bilder, die im Kopf entstehen, wenn jenand an der Haustür klingelt und bittet, die Toilette benutzen zu dürfen. mehr
20.10.2024
Die Farben auf der Leinwand waren laut, satt und großflächig aufgebracht. Am unteren Rand des Bildes stand in großen Buchstaben der Satz „Frau als Ware“. Im Stil von Andy Warhol prangte das Konterfei von Marilyn Monroe auf einem 2x 3 Meter großen Plakat, das eine befreundete Künstlerin für uns entworfen hatte. Versehen mit weiteren Informationen wie Datum, Uhrzeit, Veranstaltungsort und dem freien Einritt, sollte es auf unsere Ausstellung zum Thema „Menschenhandel und Zwangsprostitution“ aufmerksam machen. Unübersehbar hingen wir das Plakat in der Ortsmitte an einem Maschendrahtzaun, der den Hof des evangelischen Gemeindehauses von der Hauptstraße des 6000 Seelendorfs trennte.
Wir, das waren 8 junge Frauen, die dem alleinigen Versorgungsglück der Mutterschaft entkommen wollten und begannen, sich Anfang der 90-Jahre frauenpolitisch ins Dorfgeschehen einzumischen.
Das Plakat machte, was es sollte, es erregte Aufsehen. Vorbeigehende Menschen drehten ihre Köpfe in seine Richtung, während ihre Körper weiter in der Vorwärtsbewegung blieben. Bloß nicht stehen bleiben. Bloß nicht dabei gesehen werden wollen, das Plakat zu lesen. Vorbei fahrende Autofahrer schienen auf Höhe des Plakates abzubremsen, wenn es in ihren Augenwinkeln zur Realität wurde und sie erfassen wollten, wozu es dort hing.
Um zu verhindern, dass es gestohlen oder beschädigt werden würde, bewachten wir das Plakat tagsüber in abwechselnden Diensten. Am späten Abend nahm es dann eine von uns mit nach Hause, um es am nächsten Tag wieder an gleicher Stelle aufzuhängen.
Wir hatten einen Raum zur Verfügung gestellt bekommen, in dem wir die Ausstellung präsentieren konnten. Als besonderen Clou bauten wir parallel zur Ausstellung eine „Peep-Show“ auf. Mit Hilfe eines ca. 2 Meter langen Paravents teilten wir den hinteren Teil des Raumes so ab, dass ein zweiter, kleinerer Raum mit drei Wänden und einem Eingang entstand.
An seine Außenwand brachten wir ein Schild an, auf dem im Schriftzug einer Leuchtreklame das Wort „Peep-Show“ stand. Von innen kleideten wir die Wände mit rotem Samt aus und stellten eine kleine Lampe hinein, die schummriges Licht verbreitete. An den rot-samtigen Innenwände hefteten wir Schwarz-Weiß Fotos, die jedoch nicht wie es in einer „Peep-Show“ zu erwarten wäre, nackte Frauen auf einem sich drehenden Präsentierteller zeigten, sondern diese Fotos zeigten Männer, die eine „Peep-Show“ besuchen und die dort tun, was Männer dort tun.
Die Veranstaltung war ein voller Erfolg. Zu unserer großen Überraschung kamen viele interessierte Besucher und Besucherinnen zur Ausstellung und unsere „Peep-Show“ hatte durch ihre Umkehrung viele Menschen nachdenklich gemacht. Damit hatten wir nicht gerechnet und waren im 7. Frauenhimmel.
Dies änderte sich jedoch rasant, als wir am Ende der Veranstaltung unser Plakat abhängen wollten. Es war verschwunden. Einsam und allein baumelten nur noch die fein säuberlich durchgeschnittenen Befestigungsdrähte im Zaun. Ein Bild des Jammers. Ärger, Trauer und Zorn mischten sich in unser vorheriges Hochgefühl. Wir hatten vergessen auf das Plakat aufzupassen und nun war es weg.
Die Euphorie über den gelungenen Abend war dahin und es begann ein großes Palaver wer, wann für die Sicherung des Plakates zuständig gewesen war. Dann packten wir alles, was wir für die Ausstellung benötigt hatten zusammen und schleppten es, noch immer laut diskutierend zu dem VW Bus einer unserer Frauen. Sie schloss ihren Bus nie ab, was damals als besonders lässig galt. Als die erste von uns den Bus erreichte und die Seitentür öffnete, schlug ihr lautes Schnarchen und eine heftige Alkohol Fahne entgegen. Vor Schreck und Überraschung schrie sie auf. Inzwischen waren alle Frauen am Bus angekommen und standen ratlos vor der offenen Tür. Ihr Blick fiel auf einem laut schnarchenden Mann, der es sich im Auto bequem gemacht hatte und tief und fest zu schlafen schien.
„Ich pack den nicht an“ brach es aus einer von uns hervor. „Ich auch nicht“, stimmte eine weitere ein. „Aber wir müssen den doch irgendwie wach machen“ sagte die Dritte. Wieder Ratlosigkeit.
Eine von uns fasste sich dann ein Herz und kletterte in den Bus. Übel riechender Atem stieg ihr entgegen. Doch schneller als gedacht öffnete der Mann seine Augen. Schnarch- Schleim lief aus seinem Mund, den er sich mit dem Ärmel versuchte abzuwischen. Die schleimige Spur glänzte auf seinem Unterarm. „Sie können hier nicht schlafen“ blieb sie im höflichen „Sie“. Er rülpste laut, setzte sich auf, wischte sich erneut mit dem Mantelärmel über den Mund und schob seinen Körper hin zum Ausstieg. Als seine Beine den Boden berührten, nahm er erneut Schwung und kam vor dem Bus zum Stehen.
Langsam, mit schweren Lidern und roten Augen schaute er jede von uns an, schien jede einzelne zu taxieren, drehte sich um, torkelte los und verschwand mit den Worten „ihr Scheiß- Weiber“ in die Dunkelheit.
Willkommen in der Realität der 90-ger Jahre.
Admin - 22:22 @ besondere Momente | Kommentar hinzufügen
Über mich
Sozialpädagogin
Systemische Beraterin und Systemische Kinder-und Jugendtherapeutin
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