In meinem Blog "Annettes-Schreibzeug" erzähle ich Geschichten von Menschen, von Ereignissen, sammle besondere Momente und nehme Bezug auf aktuelle Themen der Zeit. Ich freue mich, euch Lori vorstellen zu dürfen. Sie ist als Gast ins Schreibzeug eingezogen und wird uns im „Lori Journal“ an ihren Gedanken teilhaben lassen.
Neuigkeiten im Schreibzeug | ![]() |
15.06.2025, 14:44
Im Maildialog zwischen Astrid und Annette entsteht Mail für Mail ihre Geschichte, die mit dem Satz „Er hielt seine Küche stets in Ordnung, machte sich aber immer wieder schuldig“ verbunden ist. mehr
24.05.2025, 19:28
Der Tod ist eine Gewissheit, die uns alle verbindet-und doch bleibt er oft unausgesprochen. In einer Welt, die sich um Fortschritt, Erfolg und das Leben in seiner Fülle dreht, scheuen wir uns oft, über das... mehr
15.06.2025
»Ohne Titel | Dieter Froelich 1990/93 | Offsetdruck von Stempeldruck [Faksimile] | 29,7 x 42 cm | Auflage 500 | Werstattdruck Nr. 49 für das Projekt Werkstattausstellungen Münster | VG Bildkunst 438256«
Im Maildialog zwischen Astrid und Annette entsteht Mail für Mail ihre Geschichte, die mit dem Satz
„Er hielt seine Küche stets in Ordnung, machte sich aber immer wieder schuldig“
verbunden ist.
Annette:
Liebe Astrid,
Matthias hat unseren Küchenschrank umgebaut. Vielleicht erinnerst du dich, der Schrank, in dem die Spülmaschine steht. Dort hat er nun vier Auszüge eingebaut, wie bei einem Apothekerschrank. Ich bin super zufrieden.
Zur weiteren Verschönerung möchte ich einen Spruch auf die Fronten schreiben und zwar den Spruch, den ich vor vielen Jahren mal bei dir gesehen habe und der lange in meiner feministischen Aktivzeit über unserem Herd hing:
“Er hielt seine Küche stets in Ordnung, machte sich aber immer wieder schuldig”.
Damals fand ich ihn ausreichend provokant, um gegen das Patriarchat zu kämpfen. Heute finde ich, kann sich der Kreis schließen. Das Patriachat ist nach wie vor da, doch ich kämpfe nicht mehr mit Sprüchen in der Küche über dem Herd. Heute ist der Spruch eine wunderbare Erinnerung für mich und das Patriachat kann mich mal.
Vielleicht erinnerst du dich an den Spruch und kannst mir bei Gelegenheit dazu berichten, von wem er ist und in welchem Zusammenhang er steht.
Bis dahin mit vielen Grüßen
Annette
Astrid:
Liebe Annette,
ich kann mir lebhaft vorstellen, dass ich diesen Satz
“Er hielt seine Küche stets in Ordnung, machte sich aber immer wieder schuldig“
als junge Frau gut fand und dir weiterreichte. An die Situation selbst kann ich mich nicht erinnern, auch nicht, d a s s ich ihn an dich weitergab oder dass er in deiner Küche hing und eine Bedeutung für dich hatte.
Ich bin rückblickend überzeugt, dass ich den Satz anders verstanden habe –
und auch heute noch anders verstehe – als du. Ich glaube, das „er“ in dem Satz war für mich austauschbar; da könnte auch ein „sie“ stehen. Er selbst empfand sich als schuldig werdend an dem Mangel an Perfektion, der er bei sich selbst vermisste / sie selbst wurde schuldig an dem Mangel an Perfektion, den sie aufbrachte.
Für mich war es lebenslang ein großer Kummer, dass ich die Reinheit gestalteter Form immer nur kurz aufrechterhalten konnte. Dauerhafte, quasi konservierte Ordnung erlebe ich als nicht existent: Das sorgfältig karg eingerichtete Wohnzimmer zeigt bereits nach kurzer Zeit Krümel und Wollmäuse auf dem Boden, in der Luft tanzen Staubpartikel, ein Tisch wird von mir nur schlampig abgeräumt, die Kuscheldecke nicht schön zusammengelegt … das beständige Verkommen und Verwischen der Form durch Nutzung, ja, krasser gesagt: durch die Tatsache, dass es Leben gibt, kann nur temporär aufgehalten werden durch Putzen, Aufräumen, Klären. Kaum ist dieser Akt vollbracht, gehts schon wieder von vorne los. Das war für mich stets ein großer Kummer, der mich zum Verzweifeln bringen kann. Heute etwas weniger als früher.
Ich verstand den Satz also nicht speziell auf Männer zugeschnitten, die die Küche nicht so perfekt aufräumen, wie die Bewertungskriterien ihrer Frauen es erwarten.
Ich verstand ihn als Erkenntnis, was Leben und auch Kunst bedeutet: Kaum habe ich mich geduscht, muffele ich ein paar Stunden schon wieder … ein vollendetes Kunstwerk existiert nicht. Es ist immer ein Zwischenstadium, so schön und vollendet es auch aussehen mag.
Damit muss man erst mal fertig werden. Für mich eine lebenslange Herausforderung.
Von wem der Satz stammt, konnte ich noch nicht ermitteln.
Ich melde mich, wenn ich mehr weiß.
Deine Astrid
Annette:
Liebe Astrid
Deine Rückmeldung und dein Einblick zu dem Zitat ” Er hielt seine Küche…” haben mich gedanklich sehr beschäftigt. Nämlich wie du beschreibst, dass du “dauerhafte, konservierte Ordnung als nicht existent erlebst” …
Der Nichtexistenz von Perfektion bin ich mein ganzes Berufsleben lang begegnet und es schien mich angezogen zu haben. Entweder waren es Menschen, die krank waren, Menschen, die eine körperliche oder geistige Behinderung hatten, Menschen, die drohten an ihrem Leben kaputt zu gehen, Menschen, die ihre Flucht in die Sucht angetreten hatten, Eltern, die nicht in der Lage waren, ihren Kindern Eltern zu sein, oder Kinder, die nicht schulkompatibel waren. Von Perfektion waren sie alle Lichtjahre entfernt, unmöglich sie auch nur annähernd zu erreichen oder gar konservieren zu können. In meiner jetzigen Arbeit in der Beratungsstelle lernte ich Menschen kennen, die an dem Bild der Perfektion fast zerbrechen. Die perfekte Liebe, der perfekte Mann oder Frau, der perfekte Beruf und das perfekte Aussehen.
Mein Job waren immer die Brüche und meine Faszination galt der neuen Perspektive, die in den Brüchen entsteht.
Dein Gedankengang, so fern er mir ist, so faszinierend und neu ist er für mich. Das Leid an dem immer wiederkehrendem Zerfall der Ordnung, das unbelohnte Mühen, sie ein für alle Mal herstellen zu können, die nur kurze Genugtuung Ordnungen oder Perfektion zu erfahren, sind mir ganz neue und bereichernde Gedanken. Für mich gilt es, den Sinn oder den Auftrag der Vergänglichkeit zu erkennen.
Zumindest hatte es den Sinn, mein Gehirn anzustrengen und dir von meinen Gedanken zu erzählen.
So, meine liebe Astrid, bis bald mit lieben Grüßen
Annette
Astrid:
Liebe Annette,
unser Austausch: sehr bereichernd. Immer wieder neu nachdenken, aufhorchen. Wie früher, als unsere Kinder klein waren und wir viel gesprochen hatten.
Bei mir geht es nun so weiter:
Rückblick:
Du: Mein Job waren immer die Brüche und meine Faszination galt der neuen Perspektive, die in den Brüchen entsteht.
Ich: Ich verstand ihn (den Satz) als Erkenntnis, was Leben und auch Kunst bedeutet. (…) Vollendetes existiert nicht. Es ist immer ein Zwischenstadium.
Ich habe mir noch einmal unseren Gedankenaustausch von vorn bis hinten durchgelesen und finde, dass wir im Verständnis des Satzes („Er hielt seine Küche …”) nicht auseinanderliegen, jedoch im Umgang mit ihm.
Ich konnte tatsächlich nur schwer akzeptieren in meinem alltäglichen Leben, im Erleben meines Körpers, meiner Handlungen, meiner Gefühle, dass alles, was ich tue und wie ich bin, nicht vollkommen ist. Die Erkenntnis hatte ich also. Ich habe aber darunter gelitten und mich fürchterlich angestrengt, besser zu werden. Jedes Scheitern, das ich mir eingestehen musste, erlebte ich als bittere Niederlage. Ein Ventil waren mir die künstlerischen und handwerklichen Arbeiten, in denen Scheitern Ansporn waren und das Brüchige, die Ambiguität, das Unfassbare, Qualitätsmerkmal waren. Auch meinen Schüler*innen habe ich versucht, das zu vermitteln; also eine andere Sicht auf Kunst, von der viele denken, sie müsse „perfekt“ sein. Sie ist immer Zwischenstadium. Das Brüchige = das Besondere, das Ausgezeichnete, die “Faszination der neuen Perspektive” (Zitat Annette), das bis dahin Ungesehene.
Du scheinst, anders als ich, die Nichtexistenz von Perfektion schon immer hast akzeptieren können; bereits als junge Frau, und hast sie zum Berufsthema gemacht. Und zum Lebensthema – so wie ich auch. Ich sehe jedoch den Unterschied darin, wie wir unsere Wassergläser angeschaut haben: Dein Wasserglas war halb voll und meines halb leer.
Du: Damals fand ich ihn (den Satz „Er hielt seine Küche …) ausreichend provokant um gegen das Patriarchat zu kämpfen.
Diese feministische Argumentation/Sicht kam in deiner folgenden Mail nicht mehr vor … Magst du mir hierzu mehr schreiben?
Ich grüße dich herzlich!!!
Alles Liebe, Astrid
Annette:
Liebe Astrid
Ich in der vorherigen Mail: “Damals fand ich den Satz „Er hielt seine Küche … ausreichend provokant, um gegen das Patriarchat zu kämpfen”.
Als dieser Satz über unserem Herd hing, sprang er jedem ins Auge, der sich dem Kochen zuwandte. Also am meisten mir. Damals, war ich eine junge Mutter von zwei Kindern, die bis zu deren Geburt im “Frauen-Wunderland” gelebt hatte. Sicher hatte ich mit kleinen, gefühlten Ungerechtigkeiten zwischen mir und meinem Bruder zu kämpfen und mich zu behaupten, doch das gelang mir oft, da ich mich von meinem Vater verstanden fühlte. Frauen schienen Männern in Nichts nachzustehen.
Das änderte sich schlagartig, als ich die Familienrolle „Mutter” übernahm”: Aufgewacht aus dem Wunderland und an den Herd gestellt. Es war mein Vater, der diese Rolle sehr stark von mir eingeforderte und neben ihm waren es die gesellschaftlichen Strukturen, die mich in dieses Förmchen hineingestopften. Äußere Zwangläufigkeiten wie z.B. ein geringerer Verdienst, flexiblerer Arbeitsplatz, Umzüge und eine bisher ungeregelte Elternzeit ließen diese Entscheidung als die einzig sinnvolle erscheinen. Also: „Frau zum Kind und Mann an die Arbeit“.
Ich liebte unsere Kinder und das Haus, in dem wir wohnten, und so stand ich nun am Herd, in der Küche, die ich “nun in Ordnung” hielt und die an mich gestellte Rollenerwartung erfüllte.
Der Spruch „Er hielt seine Küche …“ war in dieser Zeit ein äußeres Zeichen meines ersten feministischen Aufbegehrens gegen das Patriachat. Es war ein Zeichen gegen die Scheinheiligkeit der Männer und der gesellschaftlichen Strukturen, die einerseits Frauen nach wie vor an den Herd stellten und gleichzeitig so taten, als hätte sich die Welt verändert und die Frauenbewegung ein Umdenken in die Köpfe gebracht.
Männer hielten „ihre Küche stets in Ordnung“, feierten sich, wenn sie „Frauenarbeit“ machten und unter der neuen, dünnen Schicht ihrer „Ordnung“ moderte der alte Schlamm der 50er Jahre weiter.
Es war und ist die scheinbar weiße Weste der „Saubermänner“, die die Flecken der Missachtung von Frauen durch die „vordergründige, stetige Ordnung“ übertünchen und sich dadurch „schuldig“ machen.
Es sind die Männer, für die alles in bester Ordnung ist, wenn Frauen ihre traditionelle Rolle annehmen und das Leben nach altem, vertrautem Muster laufen kann.
Es sind die Männer, die sich nach außen jovial freigeistig zeigen, Frauen selbstverständlich dieselben Rechte einräumen, doch kaum werden Frauen zur Mutter oder haben gar einen eigenen Machtanspruch, gelten wieder die alten Gesetzte, und hier macht „er“ sich immer wieder schuldig.
Der makellose Mann, smart, eloquent und immer ein bisschen mit Verständnis für die Rechte der Frau, hält „seine Küche stets in Ordnung“, „macht sich aber immer wieder schuldig, weil ihm die Gesetze des Patriarchats doch gut gefallen und er nicht wirklich einen Grund sieht, diese zu ändern.
Ich glaube, dass du durch deinen Lebensweg und deine Entscheidungen diese Frauenrolle für dich anders gelebt hast. Ich habe dich als junge Frau oft darum beneidet, scheinbar frei von diesem „Konzept Mann“ zu sein.
Heute, viele Häutungen und Erkenntnisse später, kämpfe ich diesen Kampf an dieser Stelle nicht mehr. Ich habe meinen Platz gefunden und bin zufrieden, dort angekommen zu sein, auch wenn das Patriachat auf der Welt weiter Blüten treibt. Besonders mit den Trumps und Putins dieser Welt.
Patriachat heißt „Väterherrschaft“ 🙂
Ich würde mich sehr freuen, wenn unser Austausch eine Fortführung erfahren würde.
Dir viele, liebe Grüße
Annette
Astrid:
… Irre!! Jetzt habe ich verstanden, was du meinst mit dem ‚feministischen‘ Bezug zu dem markanten Satz …
Soweit in aller Kürze;
auf später, liebe Grüße, Astrid
Astrid:
Liebe Annette,
jetzt koche ich mir gerade noch zum Abendbrot kleine Frühkartoffeln als Pellkartoffeln und werde sie mit Quark, Olivenöl und Kresse essen. lecker! Und hält vor.
Mit dem Satz bin ich weitergekommen.
Er wird/wurde als Druck angeboten über eine Berliner Galerie. Sie hieß BAECKEREI, schloss 2016. Ein Druck, der genauso aussieht wie deiner auf dem Foto, das du mir schicktest, kostet 60 € und wird als Kunstwerk gehandelt. Woher ich das Werk habe, kann ich mir denken: von Ekkehard Neumann aus Münster, der in den frühen 1990er Jahren mich mit Künstlern bekannt machte, die er im ‚Projekt Werkstattausstellungen‘, einer Produzentengalerie in Münster, zeigte. Dieter Froelich gehörte definitiv zu jenen Künstlern.
Eine von Dieter Froelich autorisierte Deutung des Satzes habe ich nicht gefunden. Fakt ist, dass Dieter Froelich das Filmemachen und Kochen als künstlerische Gattungen ansah und an der Kunstakademie unterrichtete. Er schrieb Bücher übers Kochen und grenzte sich in ihnen von der Sterneküche und ihrem vornehmen Vokabular ab. Chichi gibts bei ihm nicht. Aber ganz sicher Pellkartoffeln … Das ist ganz interessant zu lesen. Du findest Leseproben über ein Durchklicken von einer Website auf die nächste.
… hielt in Ordnung, machte sich aber immer wieder schuldig … Vielleicht fand Dieter Froelich zu keiner ‚absoluten‘ Definition von Küche und Kochen, von Zuordnungen oder Zubereitungen. Vielleicht empfand er seine künstlerische Arbeit ebenso wie ein konventioneller Maler oder Bildhauer als stets unvollendet.
Froelich arbeitet in seinen Ausstellungen viel mit Sammlungen: Geschirre, Tassen, Schüsseln, Vasen, essbare Produkte, Unterlegdeckchen …, sortiert sie immer wieder neu zueinander.
Er suchte nach Ordnung, die nie enden will und sich immer wieder neu sortiert. Froelich lebt noch. Geboren 1959.
Schreib ihm doch einfach mal und frag ihn, wie er seinen Satz versteht.
Jetzt sind die Kartoffeln gar.
Ganz liebe Grüße an dich
Astrid
Astrid:
… nochmal auf die Schnelle: Ich wusste nicht, dass Dieter Froelich an der renommierten Frankfurter Kunsthochschule, dem Städel, in der Klasse für „Film und Kochen“ studierte.
Lies selbst.
Ich werde weiter recherchieren und vielleicht bald etwas über seine Interpretation des Satzes (Er hielt seine Küche …) erfahren.
Es wird spannend.
Interpretation Nummer vier womöglich.
Liebe Grüße! Astrid
PS: Danke fürs Foto
Annette:
… ja, unser Austausch nimmt wirklich sehr interessante Züge an …, wie toll
Grüße Annette
Annette:
Hallo Astrid,
Ich hab’s getan:-). Ich habe Dieter Froelich geschrieben. Hoffe, dass ich so geschrieben habe, dass es in deinem Sinne ist.
Die Mail ist unten beigefügt. Bin mir nicht sicher, ob dieser Account von ihm überhaupt funktioniert. Falls was zurückkommt, melde ich mich.
Ich freu mich auch sehr über unseren neu erwachten Austausch, er macht mir viel Freude und schenkt mir neue Perspektiven.
Liebe Grüße an deine Lieben
Annette
Astrid:
Liebe Annette,
du hast es getan und ich bin gespannt, ob eine Reaktion kommt.
Astrid
Annette an Dieter Froelich:
Sehr geehrter Herr Froelich,
ich wende mich an Sie mit einem Anliegen, vielleicht ist es auch schon eine Bitte.
Die Bitte ist mit Ihrem Satz “Er hielt seine Küche stets in Ordnung, machte sich aber immer wieder schuldig” verbunden.
Ich bin mit meiner Schwägerin über diesen Satz in einen seelen-eröffnenden Austausch gekommen. Für beide von uns hatte dieser Satz Auswirkung auf unser Leben.
Ich hoffe Ihr Interesse ein wenig geweckt zu haben, sodass Sie Lust haben, den weiteren Verlauf der Geschichte und die damit verbundenen Bitte zu erfahren.
Weiter geht’s …
Als dieser Satz Anfang der 90er Jahre über unserem Herd hing, sprang er jedem ins Auge, der sich dem Kochen zuwandte. Also am meisten mir. Damals war ich eine junge Mutter von zwei Kindern, die bis zu deren Geburt im “Frauen-Wunderland der selbstbestimmten Frau” gelebt hatte, nun am Herd stand und ihre Küche stets in Ordnung hielt.
Das Blatt „Er hielt seine Küche …“ wurde zum äußeren Zeichen meines feministischen Aufbegehrens gegen das Patriachat. Für mich war es ein Zeichen gegen die Scheinheiligkeit der Männer und der gesellschaftlichen Strukturen, die einerseits Frauen nach wie vor an den Herd stellten und gleichzeitig so taten, als hätte sich die Welt verändert und die Frauenbewegung ein Umdenken in die Köpfe gebracht.
Männer hielten „ihre Küche stets in Ordnung“, feierten sich, wenn sie „Frauenarbeit“ machten und unter der neuen, dünnen Schicht ihrer „Ordnung“ moderte der alte Schlamm der 50er Jahre weiter. So sah ich es damals.
Viele Jahre später musste das Blatt mit dem Zitat einer stahlgebürsteten Küchenabzugshaube weichen und Frieden mit dem Patriachat zog mit ein.
Nun die Deutung und die Auswirkung des Satzes bei meiner Schwägerin. Ich hoffe, Sie sind noch dabei.
Zitat meiner Schwägerin: „Ich verstand ihn (den Satz) als Erkenntnis, was Leben und auch Kunst bedeutet. (…) Vollendetes existiert nicht. Es ist immer ein Zwischenstadium. Ein Ventil waren mir die künstlerischen und handwerklichen Arbeiten, in denen Scheitern Ansporn waren und das Brüchige, die Ambiguität, das Unfassbare, Qualitätsmerkmal waren. Auch meinen Schüler*innen habe ich versucht, das zu vermitteln; also eine andere Sicht auf Kunst, von der viele denken, sie müsse „perfekt“ sein. Sie ist immer Zwischenstadium. Das Brüchige = das Besondere, das Ausgezeichnete, die “Faszination der neuen Perspektive” (Zitat Annette), das bis dahin Ungesehene.
So, nun meine Bitte und mein Dank an Sie, bis hierher gelesen zu haben.
Gern würde ich verstehen, wie dieser Satz von Ihnen in die Welt kam und welche Bedeutung Sie ihm gaben und geben.
Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen. Dann könnte diese Satz ” Er hielt seine Küche stets in Ordnung, machte sich aber immer wieder schuldig” dreißig Jahre später noch mal eine ganz neue Bedeutung erfahren.
Mit vielen Grüßen
Annette Meinecke
Dieter Froelich:
sehr geehrte frau meinecke,
haben sie vielen dank für ihre ausführliche schilderung der begegnung mit meiner grafik bzw. dem abgebildeten satz. (wie ist die arbeit zu ihnen gekommen?)
es ist für mich schön zu wissen, dass die eigene arbeit mitunter auf einen fruchtbaren resonanzboden trifft.
mein tun stand immer schon in beziehung zu einfachen, elementaren dingen, die sich auch als worte visualisierten. »Suppe – Tisch – Pferd – Herd – Heilig« tauchen in den 1990-jahren in vielerlei form auf. der betreffende satz mag auch im zusammenhang mit den alten sinnsprüchen auf küchentextilien zu sehen sein.
das bekenntnis zur eigenen schuld ist ja ein urchristliches motiv. schuld als quasi archetypisches motiv. dabei geht diese erfahrung weit hinaus über die naive kritik an der kirche, die ihre schäfchen schuldig halten will. kritische junge katholiken hatten teilweise heftige reaktionen auf diese arbeit - dabei haben es evangelische christen viel schwerer ohne die möglichkeit der beichte.
es gäbe noch viel zu schreiben über diesen resonanzraum »Schuld«. für mich kam er aus einer persönlichen erfahrung zustande: das bemühen, ein »guter« mensch zu sein - um es einfach zu sagen - wird ständig konterkariert durch das »sich schuldig machen«. durch handlung, durch unterlassung, qua existenz.
der bezug zur küche ist mein persönlicher. oft wird der satz als »witzig« tituliert und auf die tatsächlichen verhältnisse projiziert. das ist sehr kurz gegriffen.
in einem interview habe ich einmal gesagt, dass kinder keine kunst bräuchten, da sie noch unschuldig wären. kinder brauchen musische erziehung. kunst ist etwas für schuldige.
alles gute für sie. herzlich. dieter froelich
(nachtrag: ich habe am städel nicht in der klasse für film und kochkunst studiert, sondern bei michael croissant. die kochseminare von kubelka allerdings habe ich besucht.)
Annette:
Hallo Astrid,
Dieter Froelich hat schon geantwortet. Ich bin begeistert. Schau selbst.
Vielleicht können wir ihm noch schreiben, wie du an das Blatt gekommen bist. Ich werde ihm in jedem Fall noch antworten und ihm für seine Ausführung danken.
Sonnige Grüße euch allen
Annette
Astrid:
Liebe Annette,
das ist ja toll, dass er so schnell geantwortet hat.
Dieses Schuldige qua Existenz - diesen Gedanken hatte ich vorgestern auch noch, dachte aber, dass er zu fundamental ist und in seiner christlichen Verankerung (Augustinus auch) zu weit führt bzw. zu allgemein ist.
Ja, schau, und genau das meint wohl Dieter Froelich.
Gerne kannst du ihm schreiben, wie das Blatt zu dir kam.
Viele liebe Grüße in deinen Tag,
Astrid
Annette an Dieter Froelich:
Sehr geehrter Herr Froelich,
vielen Dank für Ihre schnelle und sehr aufschlussreiche Rückmeldung. Ich habe mich sehr gefreut, den Hintergrund dieses Satzes nun von seinem Erdenker selbst gedeutet zu bekommen.
Nun bekommt der Satz “Er hielt seine Küche stets in Ordnung, machte sich aber immer wieder schuldig” eine weitere und neue Bedeutung für mich. Jedenfalls meilenweit entfernt von feministischer Patriarchats Kritik.
Auf Ihre Frage, wie das Blatt zu mir kam, war es zunächst meine Schwägerin, die mir den gedruckten Satz in den frühen 1990er Jahren schenkte. Meine weitere Recherche ergab, dass meine Schwägerin die gedruckte Grafik von Ekkehard Neumann aus Münster bekam, der sie in den frühen 1990er Jahren mit Künstlern aus dem “Projekt Werkstattausstellungen“, einer Produzentengalerie in Münster/Westfalen, bekannt machte. Sie hätten ebenfalls zu jenen Künstlern gehört.
Meine Schwägerin Astrid Vogel betrieb zu dieser Zeit, von 1990 bis 1995, den “Kunstraum G7“ in Mannheim.
So nun hat sich der Kreis geschlossen. Mein Druck wird wieder einen prominenten Platz in der Küche erhalten und sicher wird er immer wieder Anlass bieten, seine Geschichte zu erzählen.
Mit nochmaligem Dank und vielen Grüßen
Annette Meinecke
Admin - 23:59:57 | Kommentar hinzufügen
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